Presseerklärung deutscher Allergieexperten

Seit dem frühen Start der Pollenflugsaison häufen sich die Infos und Tipps für betroffene Allergikerinnen und Allergiker in den Medien. Vieles davon ist hilfreich, manches jedoch auch irreführend. Denn in manchen Beiträgen finden sich Ratschläge, die nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. So haben jüngst Experten zu einer Berichterstattung zum Thema Heuschnupfen im Magazin test 03/2023 Stellung genommen. Um die nach aktuellem Wissenstand besten Behandlungsmöglichkeiten von Heuschnupfen deutlich aufzuzeigen, finden Sie im Folgenden die Stellungnahme mit den korrigierten Empfehlungen.

Dem aktuell erschienenen Artikel (test 03/2023, erschienen am 23.02.2023, Seiten 88–91) der Stiftung Warentest zum Thema Heuschnupfen muss aus medizinischer Sicht in Teilen widersprochen werden, da dieser Aussagen enthält, die nicht den gültigen Leitlinien und dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen und teilweise irreführend sind.

Leitlinien sind Handlungsempfehlungen auf wissenschaftlicher Grundlage, die den gegenwärtigen Erkenntnisstand wiedergeben, um die Entscheidungsfindung von Ärzten sowie Angehörigen von weiteren Gesundheitsberufen und Patienten/Bürgern für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen. Im vorliegenden Fall ist die aktuelle „ARIA-Leitlinie 2019: Behandlung der allergischen Rhinitis im deutschen Gesundheitssystem“ als Referenz zu betrachten.

Insbesondere die Zusammenfassung auf Seite 88 unter dem Titel „Unser Rat“ entspricht nicht dem aktuellen Stand der Leitlinien. In dem Beitrag wird ausgeführt, dass „mehrere rezeptfreie Augentropfen und Nasensprays die Beschwerden lindern. Reicht das nicht, können Antihistaminika zum Einnehmen helfen. Leidet vor allem die Nase stark, ist Cortisonspray eine Option.“

Hier ist insofern konkret zu widersprechen, da entsprechend der gültigen Leitlinie orale Antihistaminika die Therapie der ersten Wahl sind. In dem Beitrag werden jedoch als erste Option Nasensprays und Augentropfen empfohlen. Die Anwendung von Cortisonspray ist, abhängig vom Schweregrad, nach Leitlinie nicht eine Option, sondern wird als erste Wahl unbedingt empfohlen für alle Patienten mit mäßiger bis schwerer Heuschnupfensymptomatik. Weiterhin sind solche Sprays eine Alternative zu Antihistaminika als erster Wahl bei milden Beschwerden.

Weiter wird in der Box „Unser Rat“ ausgeführt, dass „Tabletten mit Cetirizin am günstigsten sind (rund drei Euro).“ Aus medizinischer Sicht ist anzumerken, dass hier suggeriert wird, Cetirizin sei die beste geeignete Therapie. Jedoch wird in dem Zusammenhang nicht darauf hingewiesen, dass dieser Wirkstoff bei 10 Prozent der Nutzer die Blut-Hirn-Schranke passiert und dann zu Müdigkeit und auch Verkehrsuntauglichkeit führen kann. Bereits im Jahr 2000 gab es hierzu Vergleichsuntersuchungen zu Loratadin.

Entsprechend der aktuell gültigen ARIA-Leitlinie sind Antihistaminika Mittel der ersten Wahl bei mild ausgeprägten Heuschnupfenbeschwerden und werden gleichrangig mit Cortison-Nasensprays oder Leukotrien- Antagonisten empfohlen. Bei mittelschweren bis schweren Heuschnupfenbeschwerden werden in erster Linie Cortison-Nasensprays oder das Kombinationspräparat Cortison-Nasenspray mit Antihistaminika empfohlen, gegebenenfalls in höherer Dosierung. Ebenfalls wird in der Leitlinie empfohlen, regelmäßig den Schweregrad zu überwachen und entsprechend die Dosierungen anzupassen. Auch ist die Sicherheit der Langzeitanwendung von Cortison- Nasensprays durch zahlreiche Studien gut erforscht, dies wird in dem Beitrag wissenschaftlich nicht korrekt dargestellt.

In dem Beitrag der Stiftung Warentest werden darüber hinaus Cromoglicinsäurepräparate empfohlen. Dies steht ebenfalls im Widerspruch zur aktuellen Leitlinie, da zu diesen Präparaten keine modernen Studien vorliegen und sie eine schlechtere Wirksamkeit haben als Antihistaminika.

Des Weiteren kritisieren wir, dass in dem Beitrag die Hyposensibilisierung nur empfohlen wird, wenn bei betroffenen Patienten „andere Medikamente und Maßnahmen das Übel nicht ausreichend lindern“. Auch diese Aussage steht in direktem Widerspruch zu den Leitlinien, in denen die Hyposensibilisierung als die einzig mögliche kausale Behandlung empfohlen wird, um dem Immunsystem wieder Toleranz gegenüber dem Allergen beizubringen. Die Hyposensibilisierung steht neben der Allergenvermeidung als grundsätzlich empfohlene Behandlung im Fokus und Mittelpunkt bei der Behandlung von Allergien.

Nicht zuletzt ist aus unserer Sicht kritikwürdig, dass in dem Beitrag nicht ausreichend darauf hingewiesen wird, dass die Behandlung der allergischen Rhinitis (Heuschnupfen) nach den gültigen Empfehlungen im Grundsatz zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erfolgen sollte, sofern die Beschwerden ausgeprägt sind. Hierzu wird in der ARIA-Leitlinie auch ganz klar ausgeführt, wie der Schweregrad zu bestimmen ist, leider findet dies in dem Beitrag keine Erwähnung.

Konkret gilt als mäßig bis schwer, wenn eine der folgenden Fragen bejaht wird: gestörter Schlaf und/ oder Schwierigkeiten in der Schule oder am Arbeitsplatz durch Konzentrationsmangel und/oder beeinträchtigte Alltagsaktivitäten.

Als anhaltend (persistierend) gilt der Heuschnupfen, wenn mehr als drei Tage pro Woche Symptome auftreten und die Episode mindestens vier Wochen andauert. Dies ist bei allen Patienten mit Frühblüher- Sensibilisierung (Pollen, die derzeit fliegen) ebenso der Fall wie bei Patienten mit Gräserpollen- oder Hausstaub-Sensibilisierung. Nach gültiger Rechtsprechung dürfen Menschen mit persistierendem Heuschnupfen die Medikamente zu Lasten der Krankenkasse bekommen. Ebenso wird die Hyposensibilisierung von den Krankenkassen erstattet.

Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass Heuschnupfen keine Bagatellerkrankung ist, leider wird die Erkrankung nach wie vor verharmlost. Ein Kind mit unbehandeltem Heuschnupfen hat eine Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent, eine gesamte Schulnote während der Pollenflugzeit abzufallen). Es ist bekannt, dass unbehandelter Heuschnupfen eine erhebliche sozioökonomische Bedeutung hat und in der EU Kosten bis zu 100 Milliarden Euro im Jahr für die Wirtschaft hierdurch entstehen. Jede zehnte Krankschreibung in Deutschland ist auf eine Allergie zurückzuführen.

Aus den genannten Gründen ist der Berichterstattung im Magazin test 03/2023 aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht zu widersprechen.

  • Professor Dr. med. Ludger Klimek, Allergiezentrum Wiesbaden (Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen [AEDA])
  • Professor Dr. med. Dr. h. c. Torsten Zuberbier, Charité Berlin (Stiftungsvorsitzender ECARF und Vorsitzender der Deutschen Akademie für Allergologie und Umweltmedizin e.V. [DAAU])
  • Professorin Dr. med. Margitta Worm, Charité Berlin (Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie [DGAKI])
  • Professor Dr. med. Christian Vogelberg, Universitätsklinikum Dresden (Präsident der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie [GPA])
  • Sabine Schnadt, Dipl.-Oecotrophologin, Anaphylaxietrainerin (Deutscher Allergie- und Asthmabund e.V. [DAAB])

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